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Schwarz weiße Kuh in einem Verschlag

Sind Bauernhöfe die Lösung?


Paradox: Ganze 94 % der EU-Bevölkerung finden, dass es landwirtschaftlich genutzten Tieren gut gehen soll1 – die sogenannte „Massentierhaltung“ stößt auf breite Ablehnung. Die Gründe liegen auf der Hand: Wir alle kennen die schrecklichen Bilder aus den riesigen landwirtschaftlichen Tierhaltungsbetrieben und den „Schlachthöfen“, die eher Schlachtfabriken sind. Die Tiere werden dort im Akkord zur Tötung abgefertigt.

Wir alle wissen um die Gefahr, die in großen Betrieben von Krankheitserregern ausgeht und den daraus resultierenden flächendeckenden Einsatz von Antibiotika. Und wir wissen um die Umweltschäden: die Bodenbelastung durch Gülle, die Wasserverschmutzung, die Emissionen von Treibhausgasen und die Abholzung von Regenwald für die enormen Futtermengen.

Die Anzahl an Rindern, Schweinen und Hühnern pro Tierhaltungsbetrieb nimmt seit Jahren immer weiter zu2,3. Schätzungen nach4,5 stammen bis zu 98 %6 des in Deutschland (und dem Rest der EU)7 vermarkteten Fleischs aus der sogenannten „Massentierhaltung“8

Die Tierhaltungsindustrie verschleiert die Lebensbedingungen

Wir kennen aber auch die oft getätigte Aussage, jemand beziehe Fleisch, Milch und Eier für den Verzehr „direkt vom Bauernhof nebenan“ oder „vom Metzger des Vertrauens“. Wenn also so viele Menschen sagen, dass sie wissen, wo das Fleisch, das sie konsumieren, produziert wurde, oder auch, dass sie nur selten Fleisch kaufen: Wie kann es sein, dass fast alles Fleisch industriell produziert wird? 

Einen wesentlichen Anteil an diesem Mythos hat die Tierhaltungsindustrie, die sich nicht zu schade ist, Bilder von lächelnden Schweinen auf LKWs für den Tiertransport abzubilden; die sich nicht zu schade ist, die Verpackungen tierischer Produkte bis hin zur Fälschung zu beschönigen, mit grünen Wiesen, vereinzelten Tieren in schönen Landschaften und Bildern von Tieren, die einen Schönheitswettbewerb gewonnen haben könnten. Damit täuscht die Fleischindustrie ganz bewusst die Menschen. Sie verklärt die Lebensrealität der Tiere in der Landwirtschaft und verzerrt mit ihrer Werbung die Wahrnehmung der Verbraucher*innen. Sie befriedigt ihre Bedürfnisse nach einem respektvollen Umgang mit Tieren, obwohl genau das Gegenteil der Fall ist.

Denn das stellt die zweite wesentliche Komponente für diesen Mythos dar: Die meisten Menschen möchten mit ihren Handlungen und Entscheidung zu einer besseren Welt für Tiere beitragen. Sie werden aber von der Industrie gezielt in die Irre geführt und in dem Glauben gelassen, sie würden wirklich eine bessere Alternative kaufen und damit Tieren helfen. Und genau deshalb wenden wir so viel Energie für Undercover-Recherchen auf: Wir von Animal Equality zeigen die Lebensrealität von Tieren in der landwirtschaftlichen Tierhaltung – ohne Übertreibung, aber auch ohne Beschönigung.

Aber lass uns mal kurz überlegen. Wäre es wirklich so viel besser, wenn die landwirtschaftliche Tierhaltung keine „Massentierhaltung“ wäre? Dafür müssen wir vielleicht kurz klären, was der Begriff „Massentierhaltung“ überhaupt bedeutet. Eine einheitliche Definition gibt es zwar nicht, aber prinzipiell werden darunter Betriebe verstanden, in denen mehr Tiere gehalten werden als Flächen für Futtermittel zur Verfügung stehen. Betriebe, die eine möglichst große Anzahl von Individuen auf möglichst kleinem Raum halten. Betriebe, die Tiere als reine Produktionsgegenstände sehen, nicht als Individuen.

Wenn wir nur die „Massentierhaltung“, also eine extreme Form der industriellen Tierhaltung, kritisieren würden, müsste das im Umkehrschluss also bedeuten, dass es besser wäre, Fleisch, Milch und Eier von kleinen Betrieben mit wenigen Tieren zu konsumieren. Doch stimmt das wirklich?

Tiere leiden auch in kleinen Betrieben

Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) und der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) der Bundesregierung sehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass Tiere in kleinen Betrieben weniger Leid erfahren als Tiere in großen Betrieben9. Es gebe zwar wenige wissenschaftliche Erkenntnisse zu dem Thema, aber Indizien, dass Faktoren wie Zuchtlinien der Tiere und Haltungsmanagement stärker ins Gewicht fallen als die Anzahl der Tiere.

Dabei führt der WBAE insbesondere an, dass bei landwirtschaftlich genutzten Tieren in kleinen Betrieben oft die gleichen Stereotypien und Verhaltensstörungen – etwa Trauern, Weben, Leerkauen, Schwanzkauen, Stangenbeißen bei Schweinen oder Federpicken bei Vögeln – auftreten wie in großen. Das deutet auf eine ebenso große Unzufriedenheit hin. Bei Rindern kommt dazu, dass mit abnehmender Größe der Betriebe die Wahrscheinlichkeit zur Anbindehaltung steigt.

Es finden zu wenig Kontrollen statt

Ein weiteres großes Problem liegt in den seltenen Kontrollen seitens der Aufsichtsbehörden10. Eine EU-Verordnung schreibt diese für landwirtschaftliche Tierhaltungsbetriebe vor. Gegenstand der Kontrollen ist das Einhalten von Tierschutzrecht.

2018 wollten die Fraktionen von FDP und Grünen im Bundestag von der Bundesregierung wissen, wie oft solche Kontrollen stattfinden. Die Antwort, basierend auf Daten von 2009 bis 2017: Tierhaltungsbetriebe werden deutschlandweit im Schnitt etwa alle 17 Jahre, in Schleswig-Holstein rechnerisch alle 37,3 Jahre und in Bayern alle 48,1 Jahre kontrolliert10.

Das ist noch nicht alles: Aus der Antwort geht außerdem hervor, dass 2017 29.845 amtliche Tierschutzkontrollen stattgefunden haben – das entspricht nur etwa 5 % der aller Betriebe. Bei mehr als jedem fünften Betrieb wurde mangelhafter Tierschutz festgestellt (6.127 Betriebe)10.

Es ist also gleichzeitig unwahrscheinlich, dass ein Betrieb kontrolliert wird und recht wahrscheinlich, dass dort Verstöße gegen das Tierschutzrecht vorliegen. Und das Tierschutzrecht wird darüber hinaus, selbst wenn Verstöße bekannt sind, extrem unzureichend durchgesetzt.

Demnach handelt es sich bei den immer wieder durch die Medien gehenden Verstößen nicht um viel zitierte „Einzelfälle“. Die Ausbeutung der Tiere für Profit stellt die Regel dar. Das stellen auch wir von Animal Equality immer und immer wieder in unseren Undercover-Recherchen fest: Es spielt keine Rolle, ob die Betriebe groß oder klein sind, Bio-zertifiziert oder konventionell. Die Tiere erfahren das gleiche Leid.

Und wenn es den Tieren wirklich, wirklich gut ginge?

Jetzt könnte man natürlich einwenden: Und was ist mit Kleinstbetrieben? Also Bauernhöfen – wie aus den klassischen Darstellungen –, in denen wirklich nur einzelne Tiere gehalten und in unregelmäßigen Abständen durch Menschen genutzt werden? Zunächst müsste man dem, wie oben beschrieben, entgegnen, dass diese Frage hypothetisch ist: Das Leid der Tiere liegt im System. Die Verstöße und die Leiden der Tiere sind keine Einzelfälle. Aber trotzdem, was wäre denn, wenn Tiere wirklich glücklich gehalten werden würden? Wenn sie als Individuen wahrgenommen werden würden, die ihrerseits ihre Umgebung wahrnehmen, die Interessen und auch Bedürfnisse haben?

Auch diese Tiere würden letztlich „geschlachtet“, also getötet, werden. Sie würden dann bewusst als fühlende Wesen mit eigenen Interessen getötet werden. Tatsächlich werden Tiere in der landwirtschaftlichen Tierhaltung sogar grundsätzlich weit vor ihrer maximalen Lebenserwartung getötet. Das liegt daran, dass ihre Eierproduktion abnimmt oder sie weniger Milch geben oder ihr Fleisch schon nach dem jugendlichen Alter deutlich „zäher“ wird. Auch in einer tatsächlich kleinbäuerlichen Tierhaltung müssten Tiere also vermutlich vorzeitig sterben. Und selbst wenn nicht: Sie sterben auf jeden Fall irgendwann durch die Hand von Menschen, also gegen ihren Willen, einen gewaltsamen Tod. Denn das ist auch wirklich der eigentliche Punkt: Tiere möchten wie wir Menschen ganz grundsätzlich nicht sterben, vor allem nicht gewaltsam – egal, wie alt sie sind. Sie wollen leben.

Jeder Bauernhof hält Tiere, um von ihnen zu profitieren. Das kann monetär sein oder auch für die Produktion eigener Nahrungsmittel – und das ist der fundamentale Unterschied zu sogenannten „Haustieren“, die wir aus Freundschaft halten. Schweine und Rinder kosten sehr viel Unterhalt, sie benötigen große Mengen Nahrungsmittel und Fläche. Und auch Hühner verursachen monatliche Kosten (bis zu 10 Euro pro Huhn) und dürfen niemals allein leben11. Zudem legen sie ab dem Alter von zwei Jahren deutlich weniger, bald gar keine Eier mehr und können bis zu zehn Jahre alt werden. Ebenso geben Rinder irgendwann deutlich weniger, bald gar keine Milch mehr oder werden krank – und bis zu 20 Jahre alt. Grundsätzlich würde sich also die Frage stellen, was mit den Tieren passiert, wenn die Kosten die Erträge überschreiten? Das Aufwiegen der Haltungskosten mit Erträgen wäre ebenso ein Problem wie die Frage nach Fortpflanzung: Denn entweder wird die Fortpflanzung der Tiere kontrolliert – was für sich genommen bereits ein ethischer Konflikt wäre – oder unkontrollierte Vermehrung bei guten Lebensbedingungen würde sehr schnell zu einem Überschuss an Nachkommen führen. Das würde wiederum zu hohen Bestandsdichten, mit den bekannten und bereits beschriebenen Problemen, oder zu hohen Haltungskosten führen – wahrscheinlich jedoch zu beidem. Und: Je kleiner ein Bauernhof, desto größer wird die finanzielle Belastung durch jedes einzelne Tier und desto größer der Druck, die Tiere monetär zu nutzen. Ein solches Zusammenleben mit Tieren würde also immer wieder den Schutz der Tiere in Gefahr bringen und wäre ohne erhebliche Kosten unmöglich. Das zeigt sich ganz konkret am Beispiel der Lebenshöfe: Hier leben ehemals landwirtschaftlich genutzte Tiere mit Menschen zusammen, wie es sonst die „Haustiere“ tun. Da diese Tiere in keiner Weise genutzt werden, sind Lebenshöfe auf Spenden und Patenschaften angewiesen, um die laufenden Kosten für die Lebensbedingungen der Tiere zu decken.

Die meisten Menschen möchten, dass Tiere respektiert und geschützt sind. Wir von Animal Equality arbeiten jeden Tag daran, eine Welt zu erschaffen, in der das auch wirklich für alle Tiere gilt. Und zu Respekt gehört, das Bedürfnis nach Leben und Selbstbestimmung zu akzeptieren. Wir Menschen benötigen keine tierischen Produkte (mehr). Es stellt heute keinen nennenswerten Verzicht dar, Fleisch, Milch und Eier vom Nahrungsplan zu streichen. Eine pflanzenbasierte Ernährung funktioniert ganz wunderbar, auch ohne Qualitätsverlust: Die US-amerikanische Academy of Nutrition and Dietetics (deutsch etwa Amerikanische Gesellschaft für Ernährung und Diätetik) schreibt12:

„Die Academy of Nutrition and Dietetics vertritt den Standpunkt, dass eine angemessen geplante vegetarische, einschließlich vegane, Ernährung gesund und ernährungsphysiologisch angemessen ist und bei der Vorbeugung und Behandlung bestimmter Krankheiten gesundheitliche Vorteile bieten kann. Diese Ernährungsformen sind für alle Lebensphasen geeignet, einschließlich Schwangerschaft, Stillzeit, Säuglingsalter, Kindheit, Jugend, älteres Erwachsenenalter und für Sportler. Eine pflanzenbasierte Ernährung ist ökologisch nachhaltiger als eine Ernährung, die reich an tierischen Produkten ist, da sie weniger natürliche Ressourcen verbraucht und mit weitaus weniger Umweltschäden verbunden ist.“

Was gibt uns denn da tatsächlich das Recht, Tiere, fühlende Lebewesen mit eigenen Bedürfnissen, ohne Notwendigkeit zu unserem eigenen Nutzen zu töten?

Was du tun kannst

Die Frage nach der Nutzung von Tieren für Menschen ist eine im Kern ethische Entscheidung. Wenn die Bevölkerung sich dagegen wehrt, dass Tierhaltungsbetriebe ohne nennenswerte Kontrollen und ohne wirkliche gesetzliche Einschränkung fortbestehen dürfen, dann gibt es auch einen Weg, diese zu stoppen! Wir von Animal Equality fordern derzeit unter anderem, ein EU-Kommissionsmitglied für den Tierschutz zu ernennen. Damit würde der Tierschutz auf europäischer Ebene eine ganz andere Priorität bekommen. Je höher die Ebene, auf der diese Defizite angegangen werden, desto mehr Tiere profitieren von dem höheren Schutz.

Und vergiss nicht: Wir als einzelne Verbrauchende müssen nicht auf einen durch die Politik herbeigeführten Wandel warten. Wir alle können sofort etwas tun, indem wir Tiere von unseren Tellern verbannen. Jede Entscheidung für eine pflanzenbasierte Ernährung bedeutet, dass weniger Tiere leiden müssen. Es liegt in unserer Verantwortung, die Misshandlung von Tieren in landwirtschaftlichen Betrieben und Schlachthäusern zu beenden. Und du kannst sofort deinen Teil dazu beitragen, indem du dich den Millionen von Menschen anschließt, die tierische Produkte von ihren Tellern gestrichen haben.

QUELLEN:
  1. http://publications.europa.eu/resource/cellar/e31d6cd2-ec16-11e5-8a81-01aa75ed71a1.0003.01/DOC_1
  2. https://praxis-agrar.de/service/infografiken
  3. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/07/PD21_N043_41.html
  4. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/deutsche-kaufen-mehr-bio-fleisch-marktanteil-jedoch-weiter-gering-17200542.html
  5. https://www.foodwatch.org/de/informieren/bio-landwirtschaft/zahlen-daten-fakten
  6. https://www.geo.de/natur/oekologie/3331-rtkl-massentierhaltung-herzinfarkt-auf-dem-bauernhof
  7. https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/landwirtschaft-fischerei/tierhaltung-fleischkonsum/tierhaltung-fleisch.html
  8. https://www.tierschutzbuero.de/anteil-massentierhaltung/
  9. https://www.landwirtschaft.de/diskussion-und-dialog/tierhaltung/reizwort-massentierhaltung
  10. https://www.landwirtschaft.de/diskussion-und-dialog/tierhaltung/wie-oft-werden-tierhaltende-betriebe-kontrolliert
  11. https://www.huehner-hof.com/wissen/anschaffung/wie-viel-kostet-ein-legehuhn/
  12. https://www.jandonline.org/article/S2212-2672(16)31192-3/fulltext

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