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matteo cupi in einem schweineschlachthaus matteo cupi in einem schweineschlachthaus

Wie es ist, in Schlachthäusern zu ermitteln


Matteo Cupi, Vizepräsident von Animal Equality Europa und Gründer von Animal Equality in Italien, hat in der Vergangenheit an verschiedenen Ermittlungen in Schlachthäusern und landwirtschaftlichen Haltungsbetrieben in Italien und Spanien teilgenommen. Jetzt beantwortet er die Fragen unserer Verbündeten zu seinen persönlichen Erfahrungen aus Undercover-Recherchen in Schlachthäusern.

Wie bist du zu diesem Job gekommen?

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Wenn wir uns auf Ermittlungen beziehen, habe ich mit dieser Arbeit begonnen, weil ich durch einige Videos auf die Ausbeutung und das Leid von Tieren aufmerksam geworden bin.

Das war vor über 20 Jahren: Die Videos von Undercover-Recherchen, die ich damals gesehen habe, haben mir buchstäblich die Augen geöffnet. Als Erstes haben diese Videos mich an eine pflanzenbasierte Ernährung herangeführt, was tatsächlich der erste Schritt ist, um zu verhindern, dass Tiere in der Landwirtschaft leiden. 

Dann habe ich mit Tierrechtsaktivismus begonnen, habe an Kampagnen gegen Tierversuche gearbeitet und mich gegen die Pelzindustrie und für die Förderung einer pflanzenbasierten Ernährung eingesetzt.

Dank der Recherchen, die Animal Equality damals vor allem in Spanien durchgeführt hat, habe ich nach einigen Jahren angefangen, über die Kraft der Bilder nachzudenken, die während solcher Recherchen gesammelt werden. Bilder, die auch auf mich einen großen Einfluss hatten.

Und ich dachte mir, sie können auch anderen die Augen öffnen. Die Idee war, dieses Bildmaterial nicht länger in einer „Nische“ zu halten, sondern die gesamte Ermittlungsarbeit mit einem klar definierten Plan zu beginnen. Mit anderen Worten, mit den Bildern, die wir gesammelt haben – und sammeln – Medienaufmerksamkeit zu erzeugen, um dann spezifische Kampagnen zum Schutz der Tiere zu starten.

Ich habe mich aus zwei Gründen für diese Arbeit entschieden: Erstens, weil ich immer das Potenzial in der Verbreitung dieser Filme gesehen habe, die zuvor nur in bestimmten, kleineren Kreisen geteilt wurden. Und dieses Potenzial sehe ich weiterhin.

Warum nicht Bilder von Tieren in Haltungsbetrieben und Schlachthäusern in den Leitmedien, Zeitungen und im Fernsehen zeigen? Warum nicht auch die Macht der sozialen Medien nutzen? Und heute, nach 10 Jahren, sehen wir, dass viel mehr über das Thema „Tiere“ gesprochen wird.

Zweitens habe ich mich aus einem persönlichen Grund für diese Arbeit entschieden: als Hommage an jene Ermittler*innen – die ich nie gekannt habe, aber – die mir geholfen haben, meine Augen für den Schmerz von Tieren zu öffnen.

Diese beiden Gründe haben mich ermutigt, auf meine eigene Weise dazu beizutragen, indem ich dasselbe tue: So wie sie mir geholfen haben, meine Augen zu öffnen, möchte ich anderen Menschen helfen, ihre Augen zu öffnen.

Was bleibt nach den Recherchen bei dir?

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Es ist ein sehr seltsames Gefühl, das in Worte zu fassen, denn oft hatte ich den größten Eindruck erst, wenn ich mich hingesetzt und die Bilder für die Videobearbeitung überprüft habe.

Während des Filmens habe ich mich jedoch von der Entschlossenheit leiten lassen, keine Fehler zu machen, und diese Entschlossenheit funktioniert buchstäblich wie ein Filter. Ein Filter zwischen dem, was passiert, und dem, was ich gefilmt habe. Ich konnte es mir nicht leisten, Fehler zu machen.

Jede Grimasse oder seltsame Reaktion kann negative Auswirkungen auf den Erfolg des Einsatzes zur Folge haben.

Und der Erfolg des Einsatzes bestand darin, dass Tausende – wenn nicht Millionen – von Menschen erfahren konnten, was mit Tieren in landwirtschaftlichen Betrieben und Schlachthäusern passiert.

Es war mir immer sehr wichtig, das im Hinterkopf zu behalten. Während ich gefilmt habe, war da dieses Verantwortungsbewusstsein, diese Entschlossenheit, keine Fehltritte zu machen und dieser wichtigen Arbeit keine Emotionen in den Weg zu stellen.

Ich hatte das Gefühl: Das Wichtigste ist, dass das, was ich filme, mit Millionen von Menschen geteilt wird, damit sie erfahren, wie Tiere behandelt werden.

Aber dann, zu Hause und im Büro, habe ich mir bestimmte Bilder angesehen und mich gefragt: Was haben wir da gefilmt? Manchmal ist es mir auch schwergefallen, sie überhaupt wieder anzusehen.

In diesen Bildern liegt eine große Verantwortung, aber gleichzeitig auch eine große Last. Die Tatsache ist, dass das Dinge sind, die man kaum mit jemandem teilen kann. Man lebt inmitten einer Gesellschaft, die nicht mitbekommt, was den Tieren angetan wird – und man kann nicht jedem sagen, was man tut. Nur den wenigen Menschen, die mit einem zusammenarbeiten.

Es ist sehr wichtig, diese Geheimhaltung zu wahren, damit die Arbeit, die wir uns vorgenommen haben, durchgeführt und fortgesetzt werden kann. Es ist also kompliziert … weil es da einen emotionalen Teil gibt, der wirklich schwer zu unterdrücken ist. Aber zum Glück gibt es auch die Kraft, die aus der Hoffnung erwächst, dass die ganze Ermittlungsarbeit, die man tut, nicht vergebens ist.

Denn sobald die Ermittlungen abgeschlossen sind, werden die Aufnahmen durch den Rest des Teams von Animal Equality – in Italien und in den anderen 7 Ländern, in denen wir tätig sind – effektiv eingesetzt, um die Tiere zu schützen.

Schwein in einem Schlachthaus

Wie schaffst du es, dich nicht zu verraten und nicht zu versuchen, die Tiere zu retten, denen du in den Betrieben begegnest?

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Stell dir vor, du ermittelst mit dem Ziel, das ich dir weiter oben beschrieben habe: Du gibst dich nicht preis, weil du an deinem Verantwortungsbewusstsein festhältst. Außerdem ist es in manchen Fällen buchstäblich unmöglich, Tiere zu retten. Und dann ist da noch das Wissen, dass du durch das aufgenommene Filmmaterial auf lange Sicht noch mehr Leben retten kannst.

Es stimmt zwar, dass sich für jedes gerettete Leben die ganze Welt verändert, und wir hätten in der Vergangenheit manchmal die Möglichkeit gehabt, aber das ist nicht immer möglich.

Mit den von uns gesammelten Bildern starten wir Aufklärungskampagnen, die Millionen von Menschen erreichen. Und nachdem sie im Fernsehen, in Zeitungen oder in sozialen Netzwerken von unserer Arbeit erfahren haben, hören viele dieser Menschen auf, Fleisch und andere durch Ausbeutung von Tieren gewonnene Produkte zu essen. 

Auch mit Unternehmenskampagnen gelingt es uns, das Leid dieser Tiere zu verringern. Und ebenso mit Lobbyarbeit und juristischer Arbeit. Wie bei männlichen Küken. Tatsächlich wird die italienische Regierung dieses Jahr dank einer von der Abgeordnetenkammer gebilligten Änderung Maßnahmen einführen, um das systematische Töten männlicher Küken am ersten Tag ihres Lebens zu verbieten. Diese Tiere gelten jetzt als Abfall der Eierindustrie. Und dass das bald endet, liegt an der Kampagnenarbeit von Animal Equality in Italien.

Manchmal hat es viel mehr Wirkung, „kalt“ zu sein und sich zu sagen: Das ist die Realität, es ist sehr, sehr bitter und nur schwer zu verkraften, aber mit dem gesammelten Bildmaterial und den Kampagnen, die wir dadurch starten können, schaffen wir es langfristig und nachhaltig, viel, viel mehr Tiere zu retten.

Wie akzeptierst du die Tatsache, dass der Rest der Menschen um dich herum es normal findet, dass es in der Welt so läuft?

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Ich akzeptiere nicht, dass die Menschen um mich herum es normal finden, dass die Welt so läuft, sonst hätte ich nicht all das getan, was ich bisher getan habe. Aber ich halte es auch nicht für sinnvoll, mit dem Finger auf andere zu zeigen; also auf die, die nicht so denken wie wir … Ich halte es für sinnvoller, Stellung zu beziehen und zu handeln. Werde aktiv, indem du mit gutem Beispiel vorangehst. So verändert sich die Gesellschaft.

Sozialer Wandel findet sehr langsam statt. Wir, die Menschen, die diesen Wandel vorantreiben, müssen die Öffentlichkeit über die Zustände dort informieren, indem wir verbreiten, was in den Tierhaltungsbetrieben und Schlachthäusern passiert – und diese Zustände so ebenso in das Bewusstsein von Gesetzgebern und Unternehmen rufen.

Alles, was ich tue, tue ich, weil ich nicht akzeptiere, was mit den Tieren passiert. Und ich verstehe es als meine Aufgabe, immer mehr Menschen auf die Seite der Tiere zu holen.

Wie gehst du auf psychologischer und emotionaler Ebene mit dem um, was du seit 15 Jahren während und nach diesen Ermittlungen erlebst? Und was fühlst du beim Filmen in Tierhaltungsbetrieben und Schlachthäusern?

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Es gibt einen ganz wichtigen Grundsatz: sich daran zu erinnern – immer, wirklich immer –, dass man auf positive Weise dazu beiträgt, die Welt für die Tiere zu verändern. Dass man andere Menschen dazu inspiriert, dasselbe zu tun. Und dass man andere Aktivist*innen dazu inspiriert, zu handeln. Das gibt mir die große Motivation, weiterzumachen.

Ich will nicht leugnen, dass es auf emotionaler Ebene anstrengend sein kann, diesen Job zu machen. Aber ich weiß, dass es immer mehr Menschen gibt, die das unterstützen, was wir tun. Und auch das gibt mir – gibt uns – Auftrieb.

Außerdem hilft es mir, mich an unsere Anfänge zu erinnern und diese damit zu vergleichen, wo wir jetzt stehen: Wir haben natürlich noch nicht alles erreicht, was wir uns für Tiere wünschen, aber zu wissen, dass wir große Fortschritte machen, ist eine starke emotionale und psychologische Hilfe.

Es hilft mir zu wissen, dass es immer mehr Menschen gibt, die uns unterstützen, die unsere Kampagnen unterstützen, die unsere Petitionen unterschreiben, die unsere Arbeit in den sozialen Netzwerken teilen.

Was die Zeit während und nach einer Recherche angeht … da ist es mir wichtig, mich darauf zu verlassen, dass ich auf mich aufpasse und Verantwortung übernehme, um die richtigen Entscheidungen zu treffen – für meine Arbeit, aber auch für mich selbst … Ich weiß dabei natürlich, dass sich die Welt manchmal nur langsam verändert. Aber wir tun einfach unser Bestes, um sie zu einer mitfühlenderen, zu einer besseren und gerechteren Welt für die Tiere zu machen.

Es hilft mir auch, mich mit anderen Aktivist*innen zu vergleichen, die ähnliche Arbeit geleistet haben. Zum Glück sind wir eine sehr unterstützende Gemeinschaft. Und für mich, ganz persönlich, ist die Praxis der Meditation sehr nützlich. Sie hilft mir, mit meinen Emotionen umzugehen und zu verstehen, wie man sich in einer Welt, die „auf dem Kopf steht“, vorwärts bewegt.

Schafherde in einem Stall

Hast du schon einmal mit Schlachthausbetreiber*innen gesprochen? Was sind das für Menschen?

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Zu sagen, dass es eine bestimmte „Art von Mensch“ gibt, die diese Arbeit macht … das halte ich für falsch. Und ich kann mich nur auf das stützen, was ich gesehen und gehört habe – ich möchte diese Erfahrung nicht zu sehr verallgemeinern oder ein zu starkes allgemeines Bild davon zeichnen, wie Menschen sind, die in Schlachthäusern arbeiten.

Ich habe aber wirklich mal jemanden in einem Schlachthaus ganz direkt gefragt: „Was empfindest du beim Töten und Zerlegen eines Tieres?“ Die Antwort war: „Ich mache diesen Job seit ich 12 bin, jetzt bin ich 30, das ist normal für mich, das ist ein Job wie irgendwelche anderen. Ich weiß, es ist traurig, aber die Leute essen Fleisch und ich auch.“

Dieser Mensch hat erkannt, wie traurig die Situation eigentlich ist, aber er hatte kein Mitgefühl mit den Tieren, die er tötete. Wenn wir ganz bestimmten Arten von Bildern bereits ausgesetzt sind, wenn wir jung sind, dann betrachten wir eben am Ende etwas als ganz normal, das überhaupt nicht normal ist. Wie eben das Abschlachten, das Töten eines Lebewesens, eines Individuums, das leben wollte. Und dann rechtfertigen wir die Ausbeutung oder den Verzehr des Fleisches dieses Individuums.

Für mich war das echt traurig, zu hören, dass es für diesen Menschen eine völlig normale Sache war … aber es ist natürlich auch die offensichtlichste Antwort auf die Frage. Doch ich kann nur wiederholen, dass das überhaupt nicht normal ist. 

Ich habe Leute, die in Schlachthäusern arbeiten, sagen hören, dass sie ohne diesen Job, in dem sie ihre Frustration und Gewalt ablassen können, nicht wüssten, was sie sonst draußen tun könnten.

Was kann, zusätzlich zu dem, was du machst, getan werden, um Tierquälerei zu reduzieren?

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Erstens, ganz klar, aufhören, Fleisch und andere Produkte, die aus der Ausbeutung von Tieren stammen, zu verzehren und zu konsumieren. Falls du das nicht sowieso schon tust.

Zusätzlich kannst du dich entscheiden, unsere Arbeit, unsere Kampagnen und unsere Recherchen zu unterstützen. Also uns dabei helfen, unsere Arbeit, die Arbeit von Animal Equality, fortzuführen. Wir brauchen beständige Unterstützung, um langfristige Projekte durchzuführen. Projekte, die sich auf die Leben von Tieren auswirken, die in Haltungsbetrieben und Schlachthäusern eingesperrt sind. Und ja, ohne Geld können wir das nicht tun, es geht leider nicht.

Es ist also wirklich so, dass wir ohne die Hilfe von Privatpersonen das, was wir für die Tiere tun, nicht tun könnten – vor allem, weil wir großen Wert darauf legen, gleichzeitig unabhängig und unserer Mission treu zu bleiben.

Und darüber hinaus kannst du mit immer mehr Menschen über das reden, was mit Tieren gemacht wird. Auch wenn es Widerstand von anderen gibt, kannst du trotzdem konstruktiv darüber reden. Denn es ist wichtig, das Thema immer wieder anzusprechen, bei allen unseren Bekannten und darüber hinaus, egal mit wem. Unsere Recherchen zu teilen und sich unseren Initiativen anzuschließen, unsere Petitionen zu unterschreiben. Dies sind einige der „kleinen“ Dinge, die für die Tiere einen Unterschied machen können. Ich setze das in Anführungszeichen, weil sie leicht zu tun sind … aber sie sind nicht klein, sie bewirken Großes.

Hattest du während der Recherchen jemals Angst, dass du angegriffen wirst?

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Es gibt da immer eine kleine Angst, dass das passiert. Egal in welchem Betrieb man ermittelt. Aber das ist Teil unserer Arbeit, also müssen wir, so komisch es vielleicht klingt, in diesen Fällen die Angst beiseitelegen. Wir müssen den Mut zusammen nehmen, diese Bilder zu sammeln – um jeden Preis.

Mir persönlich ist es tatsächlich einmal passiert, in einem Haltungsbetrieb angegriffen zu werden: Dieser Mensch hat mich erkannt, er kannte sogar meinen Vor- und Nachnamen und … er hat mich fast ins Krankenhaus gebracht. Natürlich wurde die Polizei gerufen und es ist nichts Ernstes passiert, aber ja, ich wurde angegriffen.

Das Risiko ist aber einfach ein Teil der Gleichung. Wir müssen immer stark und positiv bleiben und uns immer daran erinnern, dass das, was wir tun, den Tieren hilft. Sie haben sonst niemanden.

Ohne Menschen wie dich könnten wir unsere für die Tiere so wichtige Arbeit nicht machen. Wir könnten Recherchen wie die, von denen ich dir erzählt habe, nicht durchführen, wenn wir nicht von unseren Verbündeten dabei unterstützt würden. Bitte hilf uns, für die Tiere zu kämpfen.


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