System des Leidens
120 Tage undercover in einem von Deutschlands größten Schweinezucht-Betrieben
Fordere eine wirkungsvolle Prävention von Tierschutzverstößen innerhalb der landwirtschaftlichen Tierhaltung.
Wenn Tierschützer*innen eklatante Zustände in der landwirtschaftlichen Tierhaltung aufdecken, folgen daraufhin häufig Ausflüchte der verantwortlichen Betriebe. Es handele sich um Momentaufnahmen, bei denen „Einzelfälle“ oder „Ausnahmesituationen“ vorgefunden wurden.
Was aber, wenn ein Ermittler als Mitarbeiter über einen Zeitraum von vier Monaten filmt und dabei Gewalt, Willkür sowie unzählige und wiederkehrende Verstöße gegen Tierschutzvorgaben durch Mitarbeitende dokumentiert?
Was wir dir hier zeigen, sind Aufnahmen aus einem Schweinezucht-Betrieb mitten in Deutschland. Sie dokumentieren das System des Leidens, mit dem die Industrie ohne Rücksicht auf Ferkel und Mutterschweine jedes Jahr Millionen erwirtschaftet.
Was ist bisher passiert?
November 2024
Wir haben Strafanzeige gegen Verantwortliche des Veterinäramts gestellt
In 2020 hat das Veterinäramt des Landkreises Jerichower Land den Betrieb in Sachsen-Anhalt kontrolliert und dabei gravierende Mängel festgestellt. Diese wurden dem Betrieb aber lediglich mündlich mitgeteilt und eine Beseitigung der Mängel angeordnet. Eine nachträgliche Kontrolle vor Ort, um die Umsetzung der geforderten Maßnahmen sicherzustellen, fand nicht statt. Des Weiteren hat das verantwortliche Veterinäramt im Zeitraum 2022 bis Mitte 2024 nach eigener Aussage nicht kontrolliert, ob der Betrieb eine Ausnahmegenehmigung für das schmerzhafte Kupieren von Ferkelschwänzen besaß oder die erforderlichen Voraussetzungen erfüllte.
All das beweist, wie grausam und kaputt das System der Tierindustrie ist und unterstreicht den Verdacht, dass die Schweine in dem Betrieb bereits seit Jahren unter tierschutzwidrigen Zuständen leiden und sterben. Deshalb haben wir Strafanzeige wegen Tierquälerei unter anderem durch Unterlassen gegen die Verantwortlichen des Veterinäramts erstattet.
Oktober 2024
Kontrollen durch das Veterinäramt
Nach Angaben des zuständigen Veterinäramts hat die Behörde im September und Oktober Kontrollen in dem Betrieb in Kleindemsin durchgeführt – rund drei Monate nach Veröffentlichung unserer Aufdeckungen. Es wurden kleinere Mängel festgestellt und deren Beseitigung angeordnet, heißt es. In Anbetracht der langen Zeitspanne und der öffentlichen Ankündigung, dass eine Kontrolle stattfinden wird, ist es nicht überraschend, dass keine gravierenden Mängel festgestellt wurden. Zwischenzeitlich wurden unter anderem nach Aussage des aktuellen Geschäftsführers einige Mitarbeitende entlassen, „um sicherzustellen, dass derartige Vorfälle nicht wieder vorkommen“ – was erneut den Verdacht bestärkt, dass Schweine in dem Betrieb vermutlich schon jahrelang unter tierschutzwidrigen Zuständen leiden und sterben mussten. Erst nachdem wir die Zustände an die Öffentlichkeit gebracht haben, wurde hier offensichtlich Handlungsbedarf gesehen.
September 2024
Weitere Nachfrage an den Landkreis Jerichower Land
Da die vom Landkreis Jerichower Land gegebenen Antworten teilweise nicht eindeutig waren, haben wir eine weitere Anfrage gestellt, um die Antworten weiter zu konkretisieren.
August 2024
„Antrag auf Auskünfte nach IZG LSA“ an den Landkreis Jerichower Land
Auf rechtlichem Weg haben wir Informationen zu den bisherigen Tätigkeiten des zuständigen Veterinäramts bezüglich des Betriebes in Kleindemsin angefordert.
Immer noch keine Kontrolle
Auch im August wurde der Betrieb vom zuständigen Landkreis nicht kontrolliert. „Epidemiologische Vorsichtsmaßnahmen“ verhinderten nach wie vor eine Kontrolle vor Ort.
Wir bleiben dran, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Juli 2024
Ermittlungsverfahren eingeleitet
Die zuständige Staatsanwaltschaft hat der Bauernzeitung nach deren Angaben mitgeteilt, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Aufgrund der umfänglichen Anzeige könne das Verfahren jedoch voraussichtlich nicht mehr in diesem Jahr abgeschlossen werden, teilte die Bauernzeitung mit. Des Weiteren teilte die Staatsanwaltschaft nach Angaben der Bauernzeitung dieser mit, dass neben unserer Strafanzeige noch vier weitere von Privatpersonen vorlägen. (Stand 8. Juli 2024)
Neuer Kontrolltermin steht noch aus
Der MDR berichtet, dass der zuständige Landkreis ihm gegenüber angegeben habe, dass keine Verstöße gegen das Tierschutzgesetz bekannt waren. Es gäbe zu wenig Personal, um die Zuchtbetriebe „ständig“ zu kontrollieren. Man bereite zwar eine Überprüfung des Betriebes vor, doch es wurde noch kein konkreter Termin festgelegt, habe eine Sprecherin dem Sender mitgeteilt. „Epidemiologische Vorsichtsmaßnahmen“ verhinderten derzeit die konkrete Planung, heißt es. (Stand 7. Juli 2024)
Bei Kontrollen 2020 bereits Mängel festgestellt
Bei der letzten Kontrolle des Betriebes im Jahr 2020 habe der zuständige Landkreis Mängel bei der Haltung, Behandlung und Versorgung von kranken oder verletzten Tieren festgestellt, berichtet der MDR. Aufgrund der Corona-Pandemie habe es jedoch keine weiteren Überprüfungen gegeben. Das verantwortliche Landwirtschaftsministerium verweise auf die Landkreise und kreisfreien Städte. Diese seien für die Überwachung der Einhaltung von Vorschriften zum Tierschutz und Haltung landwirtschaftlich genutzter Tiere zuständig. Zunächst seien jedoch die Unternehmen selbst dafür verantwortlich, dass der Umgang mit den Tieren und die Haltungsbedingungen den gesetzlichen Anforderungen entsprechen, heißt es vom Landwirtschaftsministerium auf der Seite des MDR. (Stand 7. Juli 2024)
Juni 2024
Veröffentlichung der Recherche
Wir haben eine Petition gestartet, in der wir eine wirkungsvolle Prävention von Tierschutzverstößen innerhalb der landwirtschaftlichen Tierhaltung fordern. Die Petition kannst du hier unterschreiben.
Das ARD-Politikmagazin Kontraste hat sich – angestoßen durch unsere Undercover-Recherche – in einer Sendung mit den aufgedeckten Verstößen beschäftigt. Hier geht’s zur Mediathek.
Vor Veröffentlichung
Wir haben bei der zuständigen Behörde Strafanzeige gegen das Unternehmen und gegen einzelne Mitarbeitende gestellt.
Hier wird mit den Tieren umgegangen, wie man es sich schlimmer nicht vorstellen kann. Abgesehen von fachlichen Unfähigkeiten und Unkenntnissen, sei es bei der Amputation der Ringelschwänze, bei der Isoflurannarkose, bei der OP der Binneneber oder bei der Nottötung von kleinen Ferkeln und auch größeren Tieren, ist von einigen Mitarbeitern der Umgang mit den Tieren an Brutalität nicht zu überbieten.
Dr. Claudia Preuß-Ueberschär
Dr. Jochen Weins
Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V.
Lies jetzt die vollständige Stellungnahme der Tierschutz-Expert*innen Dr. Claudia Preuß-Ueberschär und Dr. Jochen Weins von Tierärzte für verantwortbare Landwirtschaft e.V. zu dem im Laufe unserer Undercover-Recherche dokumentierten Videomaterial.
Was wir bei der Undercover-Recherche gefunden haben:
Illegale Tötungen
Sowohl Mutterschweine als auch Ferkel sind im untersuchten Betrieb Opfer von willkürlicher Gewalt. Wiederholt werden Tötungspraktiken angewendet, die in Deutschland verboten sind. Immer wieder kommt es zu fehlgeschlagenen Tötungsversuchen. Aber auch die rohe Gewaltanwendung durch die Mitarbeitenden führt dazu, dass Schweine sterben. Ihre Leichen werden anschließend entsorgt wie Müll.
Misshandlungen
Während unserer Ermittlung in der Anlage haben wir immer wieder Fälle von Tierquälerei dokumentiert. Ferkel und Schweine werden von Mitarbeitenden getreten, absichtlich gehetzt und durch die Anlage geschleudert. Infolgedessen prallen sie mit hoher Wucht gegen Wände oder auf den harten Boden. In anderen Szenen werden Tiere gequält, indem ihre Bewegungsfreiheit und Atmung eingeschränkt wird.
Vernachlässigung
Viele der Videos weisen auf einen allgemeinen Mangel an tierärztlicher Versorgung hin, der zu einer hohen Sterblichkeit führt. Die engen Kastenstände führen in vielen Fällen zu Druckstellen, Verletzungen und entzündeten Wunden, mit denen die Schweine sich selbst überlassen werden. Kastrationen werden teilweise ohne ausreichende Betäubung bei mangelhafter Hygiene durchgeführt.
Verstümmelungen
Nur wenige Tage sind die Ferkel alt, dann werden ihre Schwänze von Mitarbeitenden amputiert. Eine EU-Verordnung verbietet das routinemäßige Verstümmeln von Ferkelschwänzen. Es besteht der Verdacht, dass das Unternehmen dieses Verbot missachtet. Mit solchen Eingriffen soll das gegenseitige Beißen an den Schwänzen verhindert werden. Wenn intelligente Tiere in engen und tristen Räumen zusammengepfercht werden, ist das Schwanzbeißen jedoch ein Ausdruck von Langeweile und Frustration – zurückzuführen auf einen Mangel an Platz und Beschäftigung.
Ungeschultes Personal, schlechte Unterbringung, gewaltsamer Umgang
Unser Ermittler wurde Zeuge, wie an Tieren veterinärmedizinische Eingriffe oder Tötungen durchgeführt wurden, obwohl der dafür gesetzlich vorgeschriebene Sachkundenachweis des Personals teilweise gar nicht vorhanden war. Dies belegen Firmenunterlagen. Die Haltungsbedingungen in den Abferkelbuchten und der gewaltvolle Umgang durch die Mitarbeitenden während der täglichen Routine führen zu zusätzlichen Schmerzen und Verhaltensproblemen sowohl bei Ferkeln als auch bei Mutterschweinen.
Viele Gesetze, kaum Kontrollen:
Es gibt zahlreiche Gesetze, die Tiere vor Gewalt und unzureichenden Haltungsbedingungen schützen sollen. Doch es gibt viel zu wenig Kontrollen durch die Veterinärämter. Eine Anfrage im Bundestag zu Tierschutzkontrollen in der Landwirtschaft ergab 2017, dass Betriebe bundesweit im Schnitt nur alle 17 Jahre kontrolliert werden. In Bayern waren es sogar nur alle 48 Jahre.
Über die Undercover-Recherche:
Ende 2023 führte ein verdeckter Ermittler von Animal Equality eine viermonatige Undercover-Recherche in einem von Deutschlands größten Schweinezucht-Betrieben durch. Mit 120 Tagen ist es die längste Undercover-Recherche, die wir bei Animal Equality seit unserer Gründung im Jahr 2006 durchgeführt haben. Und damit gehört sie auch zu den umfangreichsten Recherchen, die weltweit zu landwirtschaftlich genutzten Tieren durchgeführt wurden. Hunderte Stunden Videomaterial zeigen die Realität in der Schweinezucht und beweisen, dass illegale Tötungen, Misshandlungen und Vernachlässigung ein fester Bestandteil des Systems sind.
Wo wurde das Filmmaterial aufgenommen?
Unser Ermittler hat die Aufnahmen Ende 2023 in einem Zuchtbetrieb für Schweine mitten in Deutschland gemacht. In der dokumentierten Anlage werden rund 25.000 Tiere gehalten.
Wie wurde das Videomaterial ausgewertet?
Das bei der Recherche aufgenommene Material umfasst über 300 Stunden und wurde durch mehrere Analyst*innen von Animal Equality detailliert ausgewertet, um sämtliche Verstöße und Vergehen akribisch zu dokumentieren.
Welche Verstöße wurden festgestellt?
Es wurden zahlreiche Verstöße festgestellt, darunter illegale Tötungen, Misshandlungen, Vernachlässigung, unzureichende tierärztliche Versorgung und mangelhafte Unterbringung. Es besteht zudem der Verdacht routinemäßiger Verstümmelungen.
Entscheide dich gegen Tierleid
Wir alle können einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass sich an Zuständen, wie wir sie aufgedeckt haben, etwas ändert, indem wir jeden Tag Fleisch und andere tierische Produkte durch pflanzliche Alternativen ersetzen.
Gehe auf Love Veg für zahlreiche Tipps und leckere Rezepte.
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