System des Leidens: 120 Tage undercover in einem von Deutschlands größten Schweinezucht-Betrieben. Mehr erfahren
totes schwein im schlachthof

Im Interview mit Nicole T., ehemals Tierärztin am Schlachthof


10 Jahre lang arbeitete Nicole T. als Tierärztin in Schlachtbetrieben, überwachte die Schlachtvorgänge, kontrollierte entsprechend der Tierschutz- und Hygienevorgaben. Länger als 10 Jahre könne diesen Job auch keiner machen, habe mal ein Kollege zu ihr gesagt, dann sei man ein Fall für den Psychiater. Und immer wieder kommt es auch um veterinärmedizinische Kontrollen zu Tierschutzskandalen. Nicole hat uns von ihren Erfahrungen am Schlachthof erzählt: davon, wo und warum Vorgaben, Personal und Gerätschaften versagen – und auch, wie sie durch diese Arbeit Veganerin wurde und sie doch so lange weitermachen konnte.

Nicole, du bist seit deinem 10. Lebensjahr Vegetarierin, lebst seit Jahren vegan. Wie kam es unter diesen Umständen dazu, dass du im Schlachthof gearbeitet hast?

Aktiv darum beworben habe ich mich nie. Als ich damals eine Kleintierpraxis eröffnen wollte, hat mich der Amtstierarzt gebeten, zusätzlich eine Vertretung in der Fleischbeschau zu übernehmen. Zwar habe ich ihm gesagt, dass ich mich als Vegetarierin nicht gerade dazu berufen fühlte, aber er meinte, das sei dann mein Problem. Letztlich war die Arbeit – ich habe zunächst auch nur Hygienekontrollen in einem verarbeitenden Betrieb gemacht, der Currywürste und ähnliches abpackte – aber eine zuverlässige Einnahmequelle. Und das ist für viele Tierärzte dabei der ausschlaggebende Faktor, denn ein geregeltes Einkommen ist in dem Beruf keineswegs die Norm. Erst später habe ich dann einen Kollegen in einem Schweineschlachthof vertreten. Und bin dann am ersten Tag auch Rotz und Wasser heulend nach Hause gefahren, habe stundenlang heiß geduscht und versucht, diesen Geschmack aus dem Mund zu bekommen.

Was hat dich angesichts dieser extremen Erfahrung veranlasst, weiterhin die Schlachthof-Aufsicht als Tierärztin zu übernehmen?

Wenn man weiß, was auf einen zukommt, lässt der Schockmoment zumindest nach. Und man steht auch nicht mehr nur wie paralysiert herum: Am Anfang muss einen eigentlich ständig jemand beiseite ziehen, damit man nicht von einer vorbeirauschenden Schweinehälfte umgestoßen wird oder jemandem ins Messer läuft. Und natürlich fragt man sich da, was mache ich hier überhaupt? Allerdings wurde mir schnell klar: Wenn es irgendeinen Ort gibt, wo ein Tierschützer Sinn macht, dann ist es im Schlachthof. Ich habe während meiner Arbeit versucht, die Menschen dort dazu anzuleiten, ihren Job wenigstens so zu machen, dass es geltendem Recht entspricht. Was schon schwierig genug ist …

Inwiefern?

Es ist nicht so, dass man Vorgaben hat, die eindeutig sind und funktionieren, indem man sich schlichtweg an sie hält. In jenem Betrieb, in dem ich die Überwachung durchgeführt habe, wurden die Schweine mit Elektrozangen betäubt. Die Vorgabe lautet, dass die Tiere innerhalb weniger Sekunden am Fuß hochgezogen und mit Stich in die Halsschlagader entblutet werden müssen. Das ist eine sehr kurze Zeitspanne. Sinn der Sache ist, dass die betäubten Tiere nicht wieder aufwachen, wenn sie zu lange liegen bleiben. Doch das ist nur die Theorie. In der Praxis waren die Tiere nach dem Ansetzen der Zange meistens nicht ausreichend betäubt.

Wie kam es zur Fehlbetäubung?

Entweder, weil der Strom nicht richtig geflossen ist, da die Tiere nicht nass genug waren und die Nässe nicht richtig geleitet hat. Oder die Tiere waren zu nass, und der Strom wurde oberflächlich abgeleitet. Oder die Zange war nicht richtig angesetzt, einfach wegen zu großem Tumult oder weil ein Metzger nicht richtig aufgepasst hatte. Es gab so gut wie immer einen Grund, dass es nicht richtig funktioniert hat.

Die Elektrobetäubung ist also an sich sehr „fehleranfällig“?

Ja, denn die Betäubung wirkt nur, wenn das Gehirn einmal vollständig durchströmt wird. Und selbst dann dauert es ein wenig, bis die Schweine bewusstlos sind.

Und die Vorgaben der Schlachtprozedur ignorieren diese Fehleranfälligkeit?

Ja. Wenn man die Schweine nach Betäubung eine Weile liegen gelassen hat, etwa so lange, bis das nächste Schwein betäubt wurde, dann waren sie meistens nicht mehr bewusstlos, sondern vermutlich gerade tot – gestorben an Herzversagen. Aufgestanden ist da kein Tier nochmals. Wenn man sie anschließend, also entgegen der eigentlichen Vorgabe, hochgezogen und entblutet hat, haben sie die Schlachtung nicht mitbekommen. Aber wenn man sie entsprechend der Vorgabe gleich hochgezogen hat, dann viel zu oft bei Bewusstsein. Man erkennt das daran, dass sie dann noch blinzeln. Und dann ist die Schlachtung praktisch Schächten, ein Entbluten bei Bewusstsein. Diese Schweine haben das dann voll mitgekriegt.

Wie bist du damit umgegangen?

Ich habe zu den Metzgern gesagt: Wir lassen sie liegen, bis sie tot sind. Nach dieser knappen Minute ist immer noch eine Entblutung möglich, ohne dass es sich auf Fleischqualität oder Hygiene auswirkt. Das war das einzig Tierschutzgerechte, was ich hier tun konnte. Und nachdem dies ein kleinerer Betrieb war und ich die einzige Tierärztin, konnte ich mich durchsetzen – nicht wie in größeren Betrieben, wo man als Tierarzt die längste Zeit seinen Job gehabt hat, wenn man einmal aufmuckt.

Sowohl Tierindustrie als auch Behörden behaupten, dass ständig alles bestens kontrolliert würde. Dieses regelmäßige Versagen der Betäubungsmethode müsste dann doch auch dem Veterinäramt irgendwann aufgefallen sein.

Tatsächlich kam irgendwann eine „Taskforce“ vom Veterinäramt. Als sie damals die Geräte überprüft haben, meinte ich zu meinen Vorgesetzten: Wenn wir uns hier an die Vorgaben halten, funktioniert die Methode nicht. Ihre Antwort lautete, so würde es aber überall gemacht, so sei es schon immer gemacht worden, und so sei es dann wohl auch für mich gut genug.

Unglaublich …

Nach einigen Jahren kam dann eine zweite Taskforce, diesmal mit Hightech-Messinstrumenten. Diesmal lautete das Ergebnis: Die Tiere würden nicht ausreichend betäubt. Also trug das Veterinäramt dem Schlachthofinhaber auf, für zehntausende Euro ein neues Betäubungsgerät zu besorgen. Denn es läge angeblich am alten Gerät. Als das neue da war, zeigte sich: Es funktionierte genauso wenig.

Also kann auch die viel beschworene Technisierung der Vorgänge Tierqual nicht mindern? Vor allem die großen, modernen Schlachtunternehmen argumentieren ja gerne, ihre neue, ausgefeilte Technologie arbeite so präzise und sauber, dass Tierleid beinahe unmöglich würde.

Die Betäubung ist bestes Beispiel, dass auch Technisierung Tierleid nicht vermeidet, im Gegenteil. Erstens ist auch hier immer menschliches Personal beteiligt – und eine Person ist immer die erste Fehlerquelle. Aber nehmen wir etwa die Gasgondeln, in der Schweine mit CO2 betäubt werden, als Alternative zur Elektrobetäubung. Diese Methode ist hochtechnisiert, doch selbst hartgesottene Tierärzte haben schon zu mir gesagt, dass sie etwas Grausameres als diese Gasgondeln noch nie beobachtet hätten. Auch wenn der Todeskampf darin nur ein paar Sekunden dauert, ist er so extrem, so verzweifelt, dass man es nicht mitansehen kann – und das ist es, was diese Technik erst ermöglicht: Der Apparat macht unsichtbar, wie die Tiere buchstäblich am Verrecken sind. Aber, wie eine befreundete Tierärztin mir erzählt hat, fällt etwa mal der Strom aus oder kommt es zur Fehlfunktion, dann muss man hinterher die erstickten, dunkelblau angelaufenen Schweine aus der Gasgondel holen.

Technik ist immer nur so gut wie diejenigen, die sie warten und bedienen. Und Technik arbeitet mit Normen. Schon bislang gab es Probleme deswegen, etwa bei den Tötungsbuchten. Wenn mal ein älterer, größerer Bulle kam, ragte der hinten raus. Und schon funktioniert vieles nicht mehr, wie es soll. Technik ist immer an Standards angelegt, und wenn Tiere kommen, die weder Standardgröße noch -benehmen zeigen, gibt es Probleme. Es sind immer Lebewesen, immer individuell – und eben nie Standard. Es funktioniert nie nach Plan. Und ein „humanes“ Töten gibt es nicht.

Nicht-Standardverhalten wäre dann wohl auch, wenn Tiere sich wehren, um ihr Leben kämpfen – teilweise noch, nachdem der tödliche Kehlschnitt schon durchgeführt wurde.

Das können in diesen Fällen zwar auch Muskelreflexe sein, die sich oft noch einige Zeit bei toten Körpern zeigen. Aber das macht es nicht besser: Je aufgeregter und panischer ein Lebewesen vor seinem Tod nämlich war, umso stärker zeigen sich diese Reflexe. Denn je größer die Panik, umso mehr steht ein Körper unter Adrenalin. Und Adrenalin bewirkt, dass in den Mitochondrien, in den sogenannten „Kraftwerken“ der Zellen, Energie bereitgestellt wird. Die dient entweder Flucht oder Kampf – aber im Schlachthof kommt es dazu meistens nicht. Nach der Tötung wird diese Energie dann in den Zellen trotzdem noch frei: Die Muskeln zucken.

Dann sind aber solche postmortalen Muskelreflexe ein direktes Indiz für den Schrecken, den ein Tier noch vor seinem Tod erleben musste?

Ja, das kann man so sagen. Es gibt aber natürlich auch die anderen Tiere, die sich vor Panik gar nicht bewegen können. Das sind z. B. oft Rinder aus Anbindehaltung. Sie haben einfach nie gelernt, mit ihrem Körper umzugehen. Sie wissen beim Anliefern schon kaum, wie sie einen Fuß vor den anderen setzen sollen. Rinder aus Weidehaltung sind hingegen oft die größten Kämpfer. Sie wissen, wie sie mit ihrem Körper umgehen sollen, und sind die menschliche Nähe nicht gewöhnt, wehren sich, oft geradezu akrobatisch – und gerade bei ihnen kommt es oft deswegen im Schlachthof noch zu schlimmen Verletzungen. Die Rinder aus Anbindehaltung hatten vorab hingegen Vertrauen zum Menschen. Und am Ende kann man ihnen ansehen, dass sie verstehen, dass sie betrogen worden sind. Dass sie da in den Tod gehen sollen. Die können es dann nicht fassen. Das ist bei Tieren nicht viel anders als bei Menschen.

Bei dem, was du erzählst, muss ich dir diese Frage stellen: Wie konntest du diesen Job so lange durchhalten?

Ich konnte das Ganze nur so lange aushalten, weil ich versucht habe, dagegenzuhalten und den Tieren – den Opfern – so gut wie möglich zu helfen. Außerdem habe ich viele Tiere freigekauft, anfangs noch legal, später musste ich ein wenig tricksen. Eigentlich darf aus Seuchenschutzgründen nichts, was einen Schlachthof in der EU je betreten hat, diesen wieder lebendig verlassen.

Wie konntest du die Tiere dann rauskaufen?

Oft noch auf dem Transporter, das war eine Grauzone. Aber das Veterinäramt wurde da immer restriktiver, der Schlachthofbetreiber reagierte immer feindlicher … Und dann war der Punkt erreicht, an dem ich gemerkt habe, jetzt kann ich nicht mehr wirklich viel erreichen. Dazu kam, dass fast allen alten Arbeitern irgendwann gekündigt wurde oder sie freiwillig gegangen sind. Stattdessen kamen mehr ausländische Mitarbeiter dazu, die fast kein Wort Deutsch sprachen. Es war beinahe unmöglich, sich mit ihnen über das Vorgehen und den Umgang mit den Tieren zu verständigen.

Die Branche setzt hier auf billigere Arbeitskräfte?

Klar. Oftmals kamen sie zudem aus einem Umfeld, wo viele Dinge in diesem Job legerer angegangen werden. Und hier andere Regeln klarzumachen, war schwer: Wenn ich z. B. gesehen habe, wie Arbeiter ein Rind in die Schlachtgasse treiben und dabei auf das Tier einprügeln, dann muss ich nicht nur verdeutlichen, dass wir das so nicht machen, sondern auch, wie wir es stattdessen machen. Die Sprachprobleme haben das erheblich erschwert.

Du sagst, dass beim Treiben der Tiere die größten Probleme, die schlimmsten Missstände bestehen?

Ja, denn solange die Tiere am Leben sind, kann es nur Probleme geben. Nach der Schlachtung kommen die hygienischen, aber das ist wieder ein anderes Thema. Das Schlimmste war, dass Tiere oft gar nicht transportfähig waren oder besser: gewesen wären. Und dann kam das Abladen und Treiben – durch Mitarbeiter, die so gut wie nie etwas davon verstanden. Es ist fast immer in irgendwelchen Quälereien und Prügeleien ausgeartet: durch Mitarbeiter, die Tiere mit allem, was scharf, spitz und schmerzhaft ist, auf den letzten 100 Metern schwer misshandeln. Doch genau das ist absoluter Standard.

Der oftmals problematische menschliche Faktor betrifft aber ja nicht nur Schlachthofarbeiter, sondern auch deine Kollegen, die Veterinäre. Wie schätzt du ihre Arbeit ein, wollen sie oder können sie überhaupt gegen diese Missstände vorgehen?

Viele Tierärzte wollen eigentlich nicht im Schlachthof landen. Dieser Job hat viel mit Leid, Dreck und Krach zu tun – aber er ist, wie erwähnt, gut bezahlt. Für den Veterinär oder die Veterinärin stellt sich dann die Frage: Wie viel bedeutet mir das Geld, wie viele Skrupel bekomme ich? Viele ziehen sich dann lieber in ihr Arbeitszimmer zurück, schauen weg und übersehen nur die extrem groben Sachen nicht, um selbst keinen Ärger zu bekommen. Wenn ich aber übersehe, dass ein Rind mit gebrochenem Bein angeliefert wurde, das eigentlich gar nicht transportfähig war, dann habe ich weder die zusätzliche Arbeit – Melden etc. – noch den zusätzlichen Ärger. Denn keiner, weder Landwirt noch Metzger noch Schlachthofbetreiber, hat Interesse daran, dass so etwas bekannt wird.

Was passiert, wenn ich als Veterinär einen solchen Fall melde?

Wenn ich das mache, habe ich als Veterinär etwa ein halbes Jahr lang bis zum Gerichtstermin buchstäblich Theater. Bis dahin werde ich vom Schlachthofbetreiber gemobbt und muss nach all der Zeit noch beweisen können, dass wirklich etwas schief lief. Und unter den Mitarbeitern werden garantiert keine Zeugen zu mir stehen, weil sie alle Angst um ihren Job haben. Oft genug verläuft das Ganze dann im Sande – und ich als Veterinär hatte den ganzen Ärger umsonst. Das ist frustrierend.

Lief es ähnlich, als du selbst derartige Fälle zur Anzeige gebracht hast?

Einmal habe ich Anzeige erstattet wegen einer Kuh, die an dem Tag, als die Geburt ihres Kalbes anstand, zum Schlachthof gebracht wurde. Das ist verboten, eigentlich müsste man sogar anschließend noch zwei Wochen warten. Ich konnte in diesem Fall auch den Beweis vor Gericht liefern. Aber der Landwirt und ein Landrat waren sehr gut befreundet. Und am Ende haben sie es dann so geregelt, dass der Landwirt 200 Euro Strafe zahlen musste: Das ersparte ihm den behördlichen Eintrag. Ich selbst habe mir dabei viele blaue Flecken geholt. Also habe ich in gewisser Hinsicht Verständnis, dass viele Veterinäre keine Meldung erstatten bei Tierschutzverstößen. Es ist nicht nur anstrengend, sondern oftmals geradezu sinnlos.

Wenn das System der Tierindustrie nicht nur auf Tierleid basiert, sondern Tierleid auch geradezu schützt, wie beurteilst du dann die Arbeit von Tierschutzorganisationen?

Als vorbehaltlos gut und wichtig. Die Verbraucher müssen sehen, was in Schlachthäusern und Nutztierbetrieben passiert, denn wenn wir ehrlich sind: Ohne die Verbraucher würde es all dies gar nicht geben. Aber sie werden von allem ferngehalten, es soll ihnen ja schließlich nicht den Geschmack verderben. Wenn die Verbraucher aber diese Bilder nicht sehen, wenn ihnen nicht der Appetit verdorben wird, wird das System immer so weiterarbeiten. Und es ist schlimmer, als man es sich von außerhalb überhaupt vorstellen kann.

Liebe Nicole, du lebst mittlerweile mit rund 200 geretteten Tieren auf einem Hof. Danke dir herzlich für dieses Gespräch – und für deinen großen Einsatz gegen Tierleid!

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